Der Koalitionsausschuss hat alle wesentlichen Themen vertagt, Union und SPD haben das Regieren eingestellt. Die Wähler sollten sich das nicht gefallen lassen.
Der Koalitionsausschuss hat getagt. Viereinhalb Stunden lang hat die neunköpfige Runde am Mittwochabend unter Leitung von Bundeskanzlerin Angela Merkel und SPD-Chef Kurt Beck im Kanzleramt zusammengesessen. Anschließend verkündeten die Koalitionäre freudig: Wir regieren noch!
Handlungsfähigkeit wollte die Große Koalition unter Beweis stellen. Nach dem monatelangen lähmenden Streit um Themen wie Mindestlohn, Erbschaftssteuer oder Steuersenkungen wollten CDU, CSU und SPD zeigen, dass sie sich zusammenraufen können. Nach den heftigen Auseinandersetzungen um die Nominierung von Gesine Schwan als SPD-Kandidatin für das Amt des Bundespräsidenten wollten sie demonstrieren, dass es noch den gemeinsamen Willen gibt, die Legislaturperiode wenigstens mit Anstand zu Ende zu bringen (man weiß ja nicht, was danach kommt). Und nach den deftigen Misstrauensbekundungen der letzten Tage war das Treffen zugleich der Versuch, das gegenseitige Vertrauen wiederherzustellen.
Die Mühe hätten sich Merkel, Beck und ihre jeweilige Entourage sparen können. Nichts geht mehr bei Schwarz-Rot. Darüber können auch die beiden Kompromisse nicht hinwegtäuschen, die beide Parteien nun als „Durchbruch“ feiern.
- Das Kindergeld und der Kinderfreibetrag sollen Anfang kommenden Jahres erhöht werden. Super! Doch das hätten auch zwei Unterabteilungsleiter aus den Parteizentralen verkünden können. Schließlich steht dies bereits seit Monaten fest, und dazu zwingt die Koalition nicht politische Weisheit, sondern ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Der Umfang der Erhöhung ergibt sich aus dem Existenzminimumsbericht, der im Herbst veröffentlich wird; er lässt sich also in einem einfachen Dreisatz errechnen. Da, wo das Regieren anfängt, bei der Frage nämlich, ob Kinderförderung nicht mehr sein müsste als eine routinemäßige Erhöhung der staatlichen Leistungen, bei der Frage, wie Kinder besser betreut, die frühkindliche Bildung ausgebaut und ihre Lebenschancen insgesamt verbessert werden können, da hat der Koalitionsschuss gepasst.
- Die Kfz-Steuer wird ab 2010 von Hubraum auf CO2-Ausstoss umgestellt, damit auch Autofahrer künftig das Klima retten können. Klasse! Wer künftig ein neu zugelassenes schadstoffarmes Auto kauft, spart also ein paar Hundert Euro. Vor einem Jahr war allerdings noch von einer wirklichen Reform die Rede. Da hatte sich die Koalition bereits darauf verständigt, im Gegenzug ältere Dreckschleudern, die auf den Straßen unterwegs sind, höher zu besteuern. Doch dann hat vor allem CDU und CSU der Mut verlassen und sie sind Schritt für Schritt vor der Autofahrerlobby zurückgewichen. Regieren kann man auch das nicht nennen.
Zu zwei dürftigen Beschlüssen hat sich der Koalitionsausschuss also durchgerungen. Der Rest waren allgemeine Absichtserklärungen, vage Bekenntnisse und Verabredungen über das weitere Verfahren.
So sieht die Koalition „Spielraum“ für die Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung. Den allerdings sieht sie schon seit Längerem, und bei der nächsten Zusammenkunft im September wird sich der Koalitionsausschuss ihn wieder anschauen. Aber die Stretfrage, um wie viel Prozentpunkte die Beiträge gesenkt werden sollen beziehungsweise mit wie viel Milliarden die Arbeitsförderung intensiviert wird, hätten Union und SPD auch jetzt schon entscheiden können. Alle Fakten liegen auf dem Tisch.
Beim Mindestlohn sehen sich die Koalitionsparteien auf einem „guten Weg“, doch das heißt gar nichts. Über weitere Branchen, in denen ein Lohnuntergrenze eingeführt werden soll, gibt es weiter grundsätzliche Meinungsverschiedenheiten zwischen Union und SPD. Immerhin darf Arbeitsminister Olaf Scholz (SPD) seinen Entwurf zur Novellierung des Mindestarbeitsbedingungengesetzes jetzt in den Bundestag einbringen. Was allerdings nur bedeutet: Gestritten wird nicht mehr im Kabinett, sondern in den Bundestagsausschüssen.
Über die Erbschaftssteuerreform schließlich, auf die sich die Koalition bereits vor einem Jahr verständigt hatte, soll im Oktober weiter beraten werden – nach der Landtagswahl in Bayern.
Doch nach der Landtagswahl ist vor der Wahl, besser gesagt: vor dem Superwahljahr 2009. Das beginnt mit der Bundespräsidentenwahl im Mai, es folgen die Europawahl sowie die Landtagswahlen in Thüringen und Saarland, es endet schließlich mit der Bundestagswahl 2009. Viel kann man von der Bundesregierung da nicht mehr erwarten. Besser gesagt gar nichts. Union und SPD haben das Regieren ja schon jetzt eingestellt.
Zwar kommt die Bundesregierung bis zum Ende der Legislaturperiode um ein paar Beschlüsse nicht herum. Das Afghanistanmandat zum Beispiel muss verlängert werden, und auch bei der Erbschaftssteuer sind Union und SPD zum Kompromiss verdammt. Denn sonst läuft sie Ende des Jahres aus, so hat es das Bundesverfassungsgericht vorgegeben.
Und dann steht noch die Einführung des Gesundheitsfonds auf der Agenda. Gerne macht die Große Koalition dies nicht, schließlich bedeutet dies Chaos und vermutlich höhere Beiträge. Aber als die schwarz-rote Regierung noch regierte und mutig für die Reform des Sozialstaats warb, da hat sie die Einführung des Gesundheitsfonds ab Januar 2009 beschlossen. Stünde dieser nicht schon im Gesetz, dann würden Union und SPD wohl auch dessen Einführung vertagen.
Mehr kommt nicht. Die Große Koalition hat nicht mehr die Kraft, neue Projekte auf den Weg zu bringen, neue Reformen anzuschieben. Und das bedeutet: In den nächsten 15 Monaten wird das Land nur noch verwaltet. Der Rest ist Wahlkampf.
Munter werden sich CDU, CSU und SPD in den kommenden Monaten von ihrer eigenen Regierung und deren Politik distanzieren, immer neue Versprechungen machen und mit Konzepten gegeneinander profilieren. Die CSU macht bereits den Anfang, sie opponiert beispielsweise gegen die Streichung der Pendlerpauschale, die sie vor zwei Jahren mit beschlossen hat. Sie fordert Steuersenkungen und nimmt dafür in Kauf, dass selbst die Kanzlerin aus der Schwesterpartei beschädigt wird. CDU und SPD werden folgen.
Die Wähler allerdings sollten sich das nicht gefallen lassen. Schließlich ist eine Regierung zum Regieren da. Oppositionsparteien gibt es im Bundestag genug.
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